"Was will die sudanesische Frau heute?": Um diese Frage ging es in der Talkshow "Shababtalk", die in der vergangenen Woche im arabischen Programm der Deutschen Welle und auf Partnersendern in Nordafrika und dem Nahen Osten ausgestrahlt wurde.
Wiam Shawky hatte auf diese Frage eine knappe und eindeutige Antwort: Sie will nicht länger von Männern unterdrückt und schikaniert werden.
"Wenn ich auf die Straße gehe und ein Mann mich wie ein Objekt behandelt und nicht wie ein menschliches Wesen, dann ist derjenige, der ihm das Recht dazu gibt, mich zu belästigen, der Kranke und nicht ich", sagte Shawky in der Sendung, die in der sudanesischen Hauptstadt Khartum aufgezeichnet wurde. "Die Kleidung, die ich trage, ist Teil meiner Menschlichkeit und meiner Wahlfreiheit - und nicht die Wahl der Gesellschaft mit ihren kranken und rückständigen Traditionen, die sie Scharia nennt."
Shawky reagierte damit auf eine Äußerung des Islamgelehrten Mohamed Osman Saleh. Er hatte zuvor in der Sendung behauptet, freizügige Kleidung sei der Hauptgrund dafür, dass Frauen im Sudan sexuell belästigt werden. Als die Talkshowteilnehmerin Azza Tajalsir von ihren Erfahrungen berichtete, machte sich Saleh über die Frau lustig. So wie sie sich kleide, sei es offensichtlich, dass sie sexuell belästigt werde, sagte der 76-Jährige und lachte. Ein Großteil des Publikums lachte mit - daraufhin stand Shawky von ihrem Platz auf den Zuschauerrängen auf und mischte sich ein. "Selbst wenn meine 65-jährige Mutter schwarzgekleidet auf der Straße unterwegs ist, wird sie belästigt", sagte Shawky.
Shawkys Auftritt wurde mehr als eine Million mal angesehen
Saleh reagierte auf ihre Intervention mit der Behauptung: "Krankheit ist einer der Gründe. Es gibt kranke Männer und Frauen. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen."
Dass der Geistliche den Eindruck erweckte, Frauen würden Männer ebenso häufig sexuell belästigen wie andersherum und dass nur psychisch Kranke daran schuld seien, brachte Shawky erst recht in Rage: "Wenn Sie Gleichheit und Gerechtigkeit fordern, dann fordern Sie Gleichheit und Gerechtigkeit bei der Miete. Fordern Sie Gleichheit und Gerechtigkeit, damit ich das Sorgerecht für meine Kinder bekommen kann. Fordern Sie Gleichheit und Gerechtigkeit, damit der Polizist auf der Straße mich nicht beleidigt, wenn ich um 2 Uhr morgens nach Hause komme und er mir sagt, dass ich eine schlechte Frau bin."
Am vergangenen Dienstag wurde die Sendung ausgestrahlt - seither sorgt Shawkys Auftritt im Sudan für große Aufregung. Der Clip mit ihren Äußerungen ist auf Facebook und YouTube insgesamt mehr als eine Million Mal angesehen worden. Viele junge Sudanesen bewundern die 28-Jährige für ihren Mut, andere werfen ihr vor, sie sei zu respektlos mit dem fast 50 Jahre älteren Islamgelehrten umgegangen.
Am Freitag machten mehrere Imame in den Moscheen "Shababtalk" zum Thema ihrer Predigten. Der bekannte Geistliche Mohammed al-Amin Ismail griff den Moderator der Talkshow, Jaafar Abdul Karim, scharf an: "Er kommt in unser Land, um den Atheismus zu verbreiten, die Basis unserer Religion in Frage zu stellen und Ungläubige zu unterstützen!" Der in der Talkshow kritisierte Islamgelehrte Saleh selbst sagte: "Die Kooperation mit internationalen TV-Stationen, die gegen uns sind, ist gefährlicher, als Waffen zu tragen!"
Warnung der US-Botschaft
Seit dem Wochenende häufen sich die Gewaltdrohungen gegen Abdul Karim und den sudanesischen Partnersender der Deutschen Welle, Sudania 24. Islamische Würdenträger fordern die Schließung des TV-Senders oder wenigstens die Aufkündigung der Kooperation mit der Deutschen Welle. Die US-Botschaft in Khartum hat ihre Landsleute davor gewarnt, sich in der Nähe der Zentrale von Sudania 24 aufzuhalten. Man fürchte "Demonstrationen, die möglicherweise gewalttätig werden können" und erwarte schwere Polizeipräsenz in der Gegend.
Nicht zum ersten Mal sorgt "Shababtalk" von Abdul Karim, mit dem SPIEGEL ONLINE im Rahmen einer Kooperation mit der Deutschen Welle regelmäßig zusammenarbeitet, in der arabischen Welt für Aufsehen:
2015 hatte die ägyptische Regisseurin Inas El Deghedy in der Sendung gesagt: "Sex ist eine persönliche Freiheit. Sie gilt innerhalb wie außerhalb der Ehe. Man muss nicht verheiratet sein, um Sex zu haben." Daraufhin forderten konservative Muslime, die Frau auspeitschen zu lassen.
Im vergangenen Jahr schilderte eine junge Jordanierin bei einer "Shababtalk"-Sendung aus Amman, wie sie sexuell belästigt wurde. Der jordanische Politiker Mahmoud al-Kharabsheh, der auch in der Talkshow saß, fühlte sich von ihr provoziert. Er stellte nicht nur ihre Geschichte in Frage, er bezweifelte sogar, dass die Frau überhaupt Jordanierin ist. "Jordanische Mädchen sind nicht so. Jordanische Mädchen rennen nicht ins Fernsehen. Bis du überhaupt Jordanierin?", brüllte er erbost. Kurz darauf verließ Kharabsheh die Sendung.
Der Gelehrte Saleh sagte, er habe nach Shawkys Gegenrede ebenfalls mit dem Gedanken gespielt, aus dem Studio zu stürmen. Nach der Sendung sagte er: "Ich wollte die Diskussion verlassen, aber dann dachte ich, das sei nicht richtig, weil man dann sagen würde, ich wolle nicht mit ihnen diskutieren."
Quelle : spiegel.de
Tags: